Einzelkornsaat: Punktlandung statt Schrotschuss
Die Ökomodell-Region Rhein-Main lud Wissenschaft und Praxis zum Gespräch.
Die Einzelkornsaat bei Reihenkulturen ist Standard und hat sich bewährt. Bei Getreide hingegen ist sie nicht nur technisch herausfordernder, sondern auch Sorte und Saatgut spielen eine große Rolle. Gleichzeitig bietet die Methode sehr großes Potenzial – vor allem hinsichtlich weiterer Beschränkungen im Pflanzenschutz als auch bei Wasserknappheit während der Abreife.
Bad Homburg v. d. Höhe den 27. Februar In einer Onlineveranstaltung am 23. Februar 2023 lud die Ökomodell-Region Rhein-Main Wissenschaft und Praxis zum Gespräch. Herr Dr. Linnemann, Justus-Liebig-Universität Gießen, zeigte sehr eindrücklich, wie stark Weizenpflanzen auch innerhalb einer Sorte in ihrem Ertragspotenzial streuen.
Die allgemeine Ansicht sagt, dass Sorten in sich sehr ausgeglichen und homogen seien. Dabei weisen die verschiedenen „Idiotypen“ (die verschiedenen Pflanzentypen innerhalb einer Sorte) teils sehr große Unterschiede auf.
„Innerhalb einer Sorte gibt es Anteile von Pflanzen mit z. B. weit über 10 t/ha Ertragspotenzial, die durch solche mit nur 5 t/ha ausgeglichen werden. Am Ende steht der Durchschnittsertrag, den die Landwirtinnen und Landwirte dann in den üblichen Sortenlisten finden.“
Diese Eigenschaft ist nicht nur theoretisch. In Versuchen mit Herrn Dr. Hammelehle (Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen) konnte durch Selektion innerhalb einer Sorte wirklich 30 % mehr Korn gegenüber der unselektierten Sorte geerntet werden.
Voraussetzung dafür ist, dass sich die Einzelpflanzen nicht gegenseitig in der Entwicklung behindern. Das heißt, sie brauchen mehr Platz als in der üblichen Drillsaat. Was im genannten Selektionsversuch mit weiten Abständen zwischen den Einzelpflanzen in einer Art Selektionsgarten passiert, kann auch in einer tatsächlichen Einzelkornsaat in der Praxis erkannt werden.
Praxis zeigt Unterschiede zwischen Drillsaat und Einzelkornsaat
Wilfried Mißlbeck, Landwirt aus Sachsen-Anhalt, arbeitet seit einigen Jahren ausschließlich mit Einzelkornsaat bei Winterweizen. Mit Bildern von Praxisschlägen belegte er sehr eindrücklich die Unterschiede zwischen Drillsaat und Einzelkornsaat.
Während bei der Drillsaat eine typische „Häufchenbildung“ von Saatgut dazu führt, dass sich Einzelpflanzen gegenseitig im Wachstum behindern und dazwischen oft Lücken von 30 bis 40 cm auftauchen, schafft die Einzelkornablage einen sehr homogenen Bestand.
Die Einzelkornablage ist für Herrn Mißlbeck Basis für sein Bestandsmanagement. Bei lediglich ca. 370 mm Jahresniederschlag in den vergangenen Jahren muss er das wenige Wasser möglichst gut an die Pflanzen bekommen.
Ein homogener Bestand bei einer Saatstärke von lediglich 110 Körner/m2 ermöglicht den Einzelpflanzen eine bessere Durchwurzelung des Bodens und weniger Konkurrenz um Wasser. Ausschlaggebend für ihn ist auch der stark reduzierte Aufwand an Wachstumsreglern.
Einzelpflanzen weniger oder später anfällig gegenüber Pilzinfektionen
Typisch für Drillsaat-Bestände und den teils sehr engen Pflanzenabständen war es stets, dass sich die Einzelpflanzen in Konkurrenz um Licht nach oben trieben. Wachstumsreglereinsätze waren üppig.
Seit der Einzelkornsaat bleiben die Pflanzen aufgrund der verringerten Konkurrenz lange niedrig und bestocken sich bei einem geringen Bruchteil des bisherigen Wachstumsregleraufwands viel besser. Auch sind die Einzelpflanzen wegen besserer Bestandsdurchlüftung und wahrscheinlich kräftigerem Blattaufbau weniger oder später anfällig gegenüber Pilzinfektionen.
Gleichzeitig müssen bei der Einführung neuer Methoden – wie immer – auch Kompromisse eingegangen werden. So stehen einer bis zu 30-prozentigen Saatguteinsparung, geringerem Pflanzenschutzaufwand und besserer Wassernutzung eine 10 bis 15 % geringere Flächenleistung, eine aufwändige Technik und teures, weil kalibriert und staubfreies Saatgut entgegen. Dennoch sagt Wilfried Mißlbeck:
„Ich und auch andere Anwender auf Nachbarbetrieben können uns eine Rückkehr zur Drillsaat nicht mehr vorstellen.“
Verbesserte Selektion vertragsstarker Phänotypen bietet Chance für Ökolandbau
Herr Dr. Linnemann und Herr Dr. Hammelehle sehen vor allem für den Ökolandbau große Chancen in einer verbesserten Selektion von ertragsstarken Phänotypen. Bisherige Sorten werden ausschließlich im Drillsaaatverfahren geprüft und bewertet. Die Erfahrungen zeigen, dass Sorten und vor allem die darin befindlichen Idiotypen (s. o.) nur bei einer Standraumverteilung in Gleichstandsaat (z.B. 50 cm) ihr Ertragspotenzial zeigen.
In Züchtung und Selektion stecken hier große Potenziale, um hohe Erträge bei reduziertem Input zu erreichen. Im Parzellenversuch war dies bei der Abreife sehr gut zu erkennen.
Die eng gesäten Bestände reiften schneller ab, da ihnen das Wasser ausging, während die Einzelkorn-Bestände (100 Körner/m2) länger aktiv waren und damit eine verbesserte Kornfüllung erreichten.
Aus der Diskussion wurde schnell klar, dass ‒ unabhängig von ökologischer oder konventioneller Bewirtschaftung ‒ die Förderung von Einzelpflanzen auch im Getreideanbau durch gezielte Selektion und Einzelkornsaat die Ertragsfähigkeit auch unter veränderten Rahmenbedingungen erhalten ‒ teils sogar gesteigert werden kann.
Über die Ökomodell-Regionen
Hessen Seit 2021 ist Hessen Ökomodell-Land. Als „Dachmarke“ verbindet das Ökomodell-Land Hessen die 13 Ökomodell-Regionen, welche ein flächendeckendes Netz über ganz Hessen bilden und alle Landkreise integrieren. Die Ökomodell-Regionen sind Baustein des Hessischen Ökoaktionsplans und werden gefördert durch das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Ihre Aufgabe ist es, Projekte und Maßnahmen zu entwickeln, die den Anteil an ökologisch und regional erzeugten Lebensmitteln erhöhen. Dadurch soll die steigende Nachfrage nach ökologisch produzierten Lebensmitteln stärker aus der heimischen Landwirtschaft gedeckt und das Bewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher für regionale Kreisläufe und biologisch erzeugte Lebensmittel geschärft werden. Die Ökomodell-Regionen sind auch Ansprechpartner für Landwirtschaft, Lebensmittelerzeugung, -verarbeitung und Handel. Durch die Vernetzung dieser Akteure sollen die regionale Vermarktung gestärkt und heimische Wertschöpfungsketten etabliert werden.
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